F. Szabó SJ: The Life and Work of Ottokár Prohászka

Titel
The life and work of Ottokár Prohászka (1858–1927).


Autor(en)
Szabó SJ, Ferenc
Erschienen
Budapest 2009: Szent István Társulat
Anzahl Seiten
345 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
István Dévény

Das ungarische Original ist im Jahr 2007 beim gleichen Verlag erschienen. Im Begleittext beider Ausgaben wird Folgendes notiert: «Die Monographie ist das Ergebnis einer Forschung, die ich während mehrerer Jahrzehnte geführt habe.» Diese Aussage wird durch die Bibliographie bestätigt. Die erste Schrift von Ferenc Szabó über Prohaszka ist im Jahr 1967 erschienen, seither hat er mehrere Bücher und Zeitschriften-Artikel über diese Persönlichkeit veröffentlicht. Es kann hier erwähnt werden, dass zum ‹Lebenswerk› dieses Forschers der ungarischen Kirchengeschichte eine weitere Biographie gehört, die 2012 erschienen ist: Christus und seine Kirche im Lebenswerk von Péter Pázmány (Theologe, Schriftsteller, Bischof im 16/17. Jh.) Das ‹opus magnum› über Ottokár Prohászka wurde jetzt in englischer Übersetzung veröffentlicht.

Auf den ersten hundert Seiten wird die Lebensgeschichte von Prohászka beschrieben. Er ist 1858 in Nyitra (früher Nord-Ungarn, jetzt Slowakei) geboren und starb als Bischof, am 1. April 1927 während einer Predigt in der Domkirche von Székesfehérvár. Auf seinem Grab stehen die Worte: «Apostolus et Praeceptor Hungariae» – Apostel und Lehrer Ungarns. Vor seiner Ernennung zum Bischof war er Professor für Dogmatik, später Spiritual im Priesterseminar von Esztergom.

Es ist zu erwähnen, dass seine Mutter schweizerischer Abstammung war, seine Muttersprache war deshalb Deutsch. Erst in der vierten Grundschulklasse begann er Ungarisch zu lernen. In einem von den Reformierten geführten Gymnasium ist er in dieser Sprache stark geworden. Sein Lebenswerk in ungarischer Sprache ist bedeutend: Die Gesamtausgabe (1927/28) seiner Schriften enthält 25 Bände.

Die übrigen zweihundert Seiten vorliegender Biographie sind folgenden Themen gewidmet: Prohászka und der Modernismus – Prohászka und der Index – Im Strom neuer Bewegungen – Die jüdische Frage – Seine sozialen Kontakte – Prohászka der Dichter und Poet – Seine Nachwirkung.

Modernismus war das Leitwort einer Bewegung in der katholischen Kirche, die nach der Veröffentlichung der ‹Syllabus-Collectio errorum› d.h. einer Sammlung von Irrlehren (1864) von Pius IX. und nach den Verurteilungen des I. Vatikanischen Konzils (1869–70) entstanden ist. In diesen kirchlichen Entscheidungen wurde eine relativ neue geistige Bewegung zurückgewiesen und eindeutig verurteilt. Einige Philosophen, Wissenschaftler, Historiker haben nämlich in den vorausgehenden Jahrzehnten die Meinung vertreten, dass das Zeitalter religiöser Weltinterpretation abgelaufen sei, man solle sich von der ‹veralteten Denkstruktur› der Kirche befreien. Diese Mentalität wurde in den erwähnten Dokumenten hart verurteilt. Einige katholische Wissenschaftler haben später versucht, an Stelle einer massiven Ablehnung dieser Denkweise, sich in ein Gespräch einzulassen um die Kirche aus einem frontalen Gegensatz zur Philosophie, Wissenschaft und protestantischer Theologie herauszuführen, d.h. die Kirche zu modernisieren. Sie hatten nach dieser Zielsetzung den Titel ‹Modernisten› erhalten.

In diesem Sinne war Prohászka nicht extrem ‹modernistisch›, er veröffentlichte aber im Jahr 1907 ein Buch mit dem Titel Der moderne Katholizismus. Sein Grundgedanke war: «Der moderne Mensch muss lernen, zu versuchen, das weltliche und das göttliche Element der Kirche in Einklang zu bringen [...] Im Hintergrund steht das Versprechen des Herrn. Er hat aber nicht versprochen, dass das menschliche Element der Kirche immer und ununterbrochen auf der höchsten Ebene dem Göttlichen dienen wird.» Die Bereitschaft zur Selbstkritik, zum Dialog, zum Nachdenken und zur Prüfung der Überlieferung gehört seiner Meinung nach zum Wesen der Kirche. Es ist erlaubt, wenn nicht kritisch ablehnend, so doch wenigstens nüchtern zurückzublicken, nicht zuletzt deshalb, weil auch die Sprache der Theologie sich im Laufe der Zeit verändern kann. Für alte Wahrheiten muss man nicht selten neue Begriffe suchen, manchmal sind die früher formulierten Beweise kraftlos geworden.

Prohászka wurde 1910 in die ungarische Akademie der Wissenschaften aufgenommen, er hielt hier eine Antrittsrede über ‹Die Übertreibungen des Intellektualismus›. Kurz darauf zu Weihnachten warb er in einem Zeitungsartikel ‹Mehr Frieden› für Verständigung zwischen den politischen Parteien und zwischen den verschiedenen christlichen Konfessionen. Die Reaktion der offiziellen Kirche kam schnell: Er wurde wegen Modernismus und Kollaboration mit den Protestanten in Rom angezeigt. So kamen 1911 – ohne eine persönliche Konsultation mit ihm – alle drei Schriften auf den «Index librorum prohibitorum », auf die Liste der von der Kirche verbotenen Bücher.

Ferenc Szabó bringt in seinem Buch zwei Berichte des ungarischen Dominikanerpaters Szádok Szabó in lateinischer Sprache, die damals den Grund lieferten, Prohászka auf den Index zu setzen. Die ganze Geschichte ist in seinem Werk analysiert und dokumentiert. Es wird auch gezeigt, wie nach Jahrzehnten die Kirche einen bedeutenden Teil der Gedanken von Prohászka in ihre Lehre eingebaut hat. Ein weiteres Kapitel des Buches ist der sozialen und politischen Aktivität von Prohászka gewidmet. Szabó analysiert ganz gründlich die Jahre des ersten Weltkrieges, den Zusammenbruch der Österreich-Ungarischen Monarchie, die kurze Machtübernahme der Kommunisten und dann die harte ‹Reaktion›, der Versuch, das Land und die Kirche aus dieser Sackgasse herauszuholen. Die Biographie bringt in diesem Zusammenhang einen ausführlichen Überblick über die Äusserungen, Aktivitäten und Annäherungsversuche von Prohászka. Er wurde schon damals oft kritisiert, seine Versuche, den anders Denkenden zu verstehen, wurden von vielen führenden kirchlichen und politischen Persönlichkeiten abgelehnt. Erst nach vielen Jahrzehnten ist es klar geworden, dass die Kirche ohne Dialogbereitschaft den Kontakt mit der Gesellschaft verlieren wird.

Problematisch war sein Verhältnis zum Judentum. Szabó widmet dieser Analyse zwanzig Seiten – das Ganze ist gründlich dokumentiert. Das Thema wurde schon oft besprochen, nach 1945 hat man nämlich dem Namen Prohászka den Titel ‹Antisemit› angehängt. Im Mittelpunkt seiner Kritik stand aber nicht das ‹Judentum›, die religiöse Überzeugung, sondern das Faktum, dass sich in der Monarchie eine liberale und kirchenfeindliche Mentalität durchgesetzt hat, deren Vertreter – vielleicht den Spuren von Karl Marx folgend – in grosser Zahl eben Juden waren. Aus diesem ‹Sitz im Leben› ist seine Judenkritik erklärbar. Übrigens werden wir auch darüber informiert, dass Prohászka mit mehreren Juden befreundet war.

«The life and work» – das Leben und das Lebenswerk eines Menschen, dessen Lebensprogramm es war, den Menschen zu dienen. Sein schriftliches Werk umfasst, wie schon erwähnt, viele Bände, er hat auch die päpstliche soziale Enzyklika Rerum Novarum (1891) ins Ungarische übersetzt. Es stand aber die menschennahe, soziale Aktivität im Mittelpunkt seines Lebens. Er begründete die «Gesellschaft von Frauen für soziale Arbeit», die sich für Waisenkinder, Dienstmädchen und alleingebliebene Ehefrauen verantwortlich fühlte. Ein sehr reger Briefwechsel mit Personen, die sich für die gleiche Aufgabe verpflichtet haben, bezeugt, dass Prohászka auch in dieser bischöflichen Aufgabe mit wahrem Verantwortungsgefühl erfüllt war.

Ein Kapitel der Biographie widmet sich dem Poeten und dem Mystiker. Notizen in seinem Tagebuch zeigen eine dichterische Begeisterung und ganz persönliche Gespräche mit dem Heiland. Eine tiefere, verborgene Schicht seiner Seele hat sich so geoffenbart.

Der letzte Satz in der Biographie: «The soul and spirit of Prohászka were also a flame which set others alight, and gives light still today a century later» – die Seele und der Geist von Prohászka ist einer Flamme ähnlich, die uns auch aus der Entfernung von fast hundert Jahren erhellen kann.

Kurz noch über den Autor Ferenc Szabó. Er ist im Jahre 1953 in Ungarn heimlich in den Jesuitenorden – der damals durch die kommunistische Regierung schon aufgelöst war – eingetreten. Drei Jahre später, während der ‹ungarischen Revolution› konnte er Ungarn verlassen. Er hat bei den Jesuiten seine Studien beendet und wurde 1963 zum Priester geweiht. Er erwarb 1966 den Titel Doktor der Theologie, von 1967 bis 1991 war er Leiter der ungarischen Abteilung beim Radio- Vaticana in Rom. Er lebt seit 1992 in Budapest und setzt seine, für den Rückblick in die ungarische, politisch-kulturelle und kirchliche Vergangenheit sehr wichtige Forschungsarbeit fort.

Zitierweise:
István Dévény: Rezension zu: Ferenc Szabó SJ, The life and work of Ottokár Prohászka (1858–1927), English transl. by Attila Miklósházy, Budapest, Szent István Társulat, 2009. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 106, 2012, S. 727-729.

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